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DIE SÜDSEITE

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„Juden“ in der AfD?

Vorbemerkung:
Das wird jetzt ein schwieriges Thema. Es geht um die Vereinigung „Juden in der AfD“ und eine kritische Sicht auf diese Gruppe, die sich Anfang Oktober gründen will. Die jüdischen Verbände haben sich bereits dazu geäußert und sind samt und sonders entsetzt über das Vorhaben (z. B.https://www.zeit.de/kultur/2018-09/juden-afd-gegenbewegung-positionspapier)

Ich will es nun auch einmal betrachten und ein paar Aspekte dieser Angelegenheit beleuchten, die meiner Ansicht nach zu wenig Erwähnung finden. Wenn man selbst kein Jude ist und auch kein Wissenschaftler oder sonstwie anerkannte(r) Fachmann/-frau, der/die sich mit dem Thema auskennt, ist das immer eine etwas heikle Sache. Vielleicht ist das auch der Hintergrund, warum dazu von medialer Seite vergleichsweise wenig geschrieben wird (über die Berichterstattung zu den Äußerungen und Reaktionen der jüdischen Verbände hinaus). Egal, einer muss es machen, ich habe bisher niemanden gefunden, der es gemacht hat, also mache ich es.
Den Text habe ich vor Veröffentlichung mit jüdischen Freunden besprochen, die sich mit jüdischem Glauben und jüdischer Kultur und Geschichte bestens auskennen und aktiv am jüdischen Leben in Deutschland teilnehmen.

 

„Juden in der AfD“

Wenn man eine Partei ist, in der es so oft antisemitische Äußerungen gibt, dass man das Ganze nicht mehr als „Ausrutscher Einzelner“ werten kann. Wenn man eine Partei ist, die Antisemiten trotz Skandalen weiter in ihren Reihen behält. Und wenn sich in der Wählerschaft einer solchen Partei ebenfalls regelmäßig antisemitische Tiraden auf den Portalen der sozialen Medien finden. Wenn von der Weltverschwörung und vom großen Austausch gefaselt wird (von Anhängern und Funktionären), dann gibt es drei Dinge, die man tun kann, um mit diesem Problem umzugehen:

  1. Man steht dazu und ist, was man ist.
  2. Man steht dazu und ändert was.
  3. Man hat überhaupt kein Interesse etwas zu ändern, aber man verschafft sich ein Deckmäntelchen, unter dem man behaupten kann, das sei alles gar nicht wahr.

Die AfD hat sich (vorläufig) für Option 3 entschieden. Was für ein Deckmäntelchen würde sich nun gut eignen, um den strukturellen Antisemitismus in der Partei zu verbergen? Natürlich eine Legitimation/Absolution durch genau die Gruppe von Menschen, die vom Antisemitismus betroffen sind. Die Juden selbst.

Schon Frauke Petry versuchte sich mit Besuchen in Israel Freunde zu verschaffen. Das war… nicht sehr erfolgreich. Die jüdischen Verbände in Deutschland betrachten die AfD seit jeher kritisch. Das Argument der AfD, der Antisemitismus sei nur ein durch die Zuwanderung von Muslimen entstandenes Problem, ist für die meisten Juden in Deutschland nicht nur lächerlich, es ist nachgerade eine Beleidigung. Die AfD möchte eine 180°-Wende in der Geschichte, sich nicht mehr auf „jene 12 Jahre“ fixieren, die laut Herrn Gauland ja „nur ein Vogelschiss“ in der ansonsten ruhmreichen deutschen Geschichte gewesen seien, das Holocaust-Denkmal ist ein „Denkmal der Schande“, bei Gedenkstätten-Besuchen fallen AfD-Fans mit geschichtsrevisionistischen Ausfällen auf, es gibt Personal in der AfD, das man am Straßenrand der Union aufgesammelt hat, als es aufgrund antisemitischer Äußerungen rausflog und es gibt Personal, das durch eklatant zur Schau gestellten Antisemitismus sogar zu Fraktionsspaltungen führte, aber noch immer in der Partei ist, usw. usf. …

Ja, es gibt den importierten Antisemitismus und der braucht eine aufmerksame und konsequente Beobachtung und Ahndung. Das Gleiche gilt aber auch für den seit jeher vorhandenen urdeutschen Antisemitismus. Deutsche Juden verstehen nur allzu gut, dass die Einschränkungen, die von der AfD für Muslime vorgesehen sind was Ernährung und Bräuche betrifft, auch immer die Juden mit betreffen würden, sollte die AfD je in die Position kommen, ihre Vorstellungen umzusetzen.

Und so steht die AfD wie in anderen Bereichen auch vor dem Problem: Wir sind durchschaut und keiner kauft’s uns ab. Und die Frage lautet deshalb: Was kann man tun, um die gewünschte abseitige Sicht auf die Realität doch irgendwie in die Köpfe der Menschen zu bringen und sie darüber zu täuschen, was die AfD ist und was sie will?

In solchen Fällen macht die AfD immer das Gleiche. Das Fernsehprogramm gefällt der AfD nicht: Sie sendet selbst auf eigenen Kanälen. Was Zeitungen schreiben, passt nicht? Man macht selbst eine Zeitung (ok, die macht dieser Verein, mit dem die AfD angeblich nichts zu tun hat, aber… ach lassen wir das.)

Die AfD legitimiert sich also selbst.

Nicht anders verhält es sich auch diesmal mit der Gründung der Gruppe „Juden in der AfD“.
Wer sich mit AfD-Funktionären oder auch Fans öfter mal unterhält, der hört oft, es gäbe „viele Juden“ in der AfD.
Das verwundert. Es gibt nämlich in ganz Deutschland gemessen an der Gesamtbevölkerung nicht viele Juden (ca. 200.000). Dass sich nun ausgerechnet in der AfD mit all ihren Problemen hinsichtlich antisemitischer Vorkommnisse „viele Juden“ befinden sollen… man staunt.
Wenn man nachfragt, dann kann der Gesprächspartner nie sagen, wieviel „viele“ nun eigentlich sind. Tatsächlich weiß die AfD es wirklich nicht, schätzt aber selbst die Anzahl jüdischer Mitglieder auf 1400. Das entspräche 5% der Gesamtmitglieder und wäre in der Tat enorm, machen doch Juden in der deutschen Gesamtbevölkerung grade mal einen Anteil von ca. 0,23% aus (zusammengerechnet die Zahl, die durch den Zentralrat der Juden bekannt ist und die Anzahl von Juden ohne Gemeindezugehörigkeit).
Aber: Nichts Genaues weiß man nicht. Außer ein paar prominenten Namen ist nichts bekannt und selbst unter diesen – und darum geht es in der Hauptsache in diesem Text – befinden sich Personen, bei denen sich Fragen ergeben.

Zunächst einmal muss man klären: Was versteht man eigentlich unter „Juden“. Sind das Menschen mit irgendwie in ihrem Stammbaum vorhandenen jüdischen Wurzeln oder sind es Menschen, die den jüdischen Glauben mit den dazu gehörenden Traditionen leben (in liberaler oder auch strenger Form).
Für gewöhnlich assoziiert man mit „Juden“ eine jüdische Identität, also eine Verwurzelung in den Traditionen des Judentums.

Eine ganz grundsätzliche Tatsache ist: Juden erwarten den Messias. Für Juden ist Jesus Christus NICHT der Messias. Wer Jesus Christus als Messias akzeptiert, ist CHRIST. Wer Christ ist, ist kein Jude.

In unserer laizistischen Gesellschaft tendiert man dazu, Glauben sehr frei zu sehen und sich häufig auf die Position zu verlegen, es möge doch jeder an das glauben, was ihm persönlich am meisten zusagt (oder es im Falle von Atheisten eben bleiben lassen). Das ist völlig in Ordnung. Aber in manchen Fällen ist doch Genauigkeit gefragt. Gerade, wenn es darum geht, dass Politik beeinflusst werden soll und darüber das Leben von Menschen.

Es gibt erstmal Juden. Dann gibt es Menschen mit jüdischen Wurzeln, die irgendwann zum Christentum konvertiert sind. Das sind Christen. Und es gibt sogenannte „messianische Juden“. Das können entweder Menschen jüdischer Abstammung sein, die einen Teil ihrer jüdischen Identität beibehalten wollen, obwohl sie an Jesus Christus als Messias glauben oder auch Nichtjuden, die gern irgendwie Juden wären, auch wenn sie’s nicht sind und trotzdem Jesus Christus nicht aufgeben möchten. Nach jüdischer Sicht sind das alles Christen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Messianische_Juden

Warum erzähle ich das? Weil die sogenannten „Juden in der AfD“ von einem Herren gegründet werden, der aus jüdischer Sicht kein Jude ist (https://www.facebook.com/photo.php?fbid=2186061801666187&set=a.1403558923249816&type=3&theater) Davon gibt es tatsächlich einige in der AfD.

Dimitri Schulz heißt der Mann, und er sagt von sich in einem Video auf seiner facebook-Seite, er kandidiere für die Landesliste als Vertreter freikirchlicher Gemeinden sowie gläubiger Christen und Juden. Weiter hier ein Zitat aus einem Artikel des Wiesbadener Kuriers (https://www.wiesbadener-kurier.de/…/afd-mitglied-will-judis…#): „Schulz ist in Wiesbaden nicht Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Jakob Gutmark, der dort den Vorstand vertritt und in Hessen Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden ist, hat Schulz erst vor wenigen Wochen kennengelernt. Gutmark sagt, er habe ihm damals zu verstehen gegeben, ‚dass er uns mit seiner politischen Einflussnahme verschonen soll‘. Der AfD-Politiker habe sich nicht als Jude zu erkennen gegeben. Gutmark weiter: ‚Ich kenne Menschen, die sich selbst als Juden deklarieren, ohne Jude zu sein.‘ Den Vorstoß, eine ‚Jüdische Alternative für Deutschland“ zu gründen, nennt Gutmark ‚überraschend‘ und ‚irritierend‘. Er selbst kenne keine Juden, die Mitglied der AfD sind.“
Herr Schulz ist übrigens nicht nur Gründer der Gruppe „Juden in der AfD“ sondern war auch der Sprecher der Gruppe „Russlanddeutsche in der AfD“ (https://www.facebook.com/russlanddeutscheinderafd/photos/a.1703073649960917/2085138965087715/?type=3&theater). Unter diesen hat Herr Schulz interessante Freunde: https://www.allgemeine-zeitung.de/politik/hessen/arzt-und-afd-mitglied-aus-wiesbaden-hetzt-im-internet-und-wirbt-fur-wehrsportgruppe_17692749

In der Gruppe der „Juden in der AfD“ werden sich also möglicherweise einige gläubige Juden finden (z. B. http://www.badische-zeitung.de/loerrach/loerrach-wolfgang-fuhl-bleibt-afd-mitglied–132773479.html) aber eben nicht nur und in welcher Anzahl bleibt abzuwarten. Es dürfte jedoch bereits jetzt klar sein, dass diese Gruppe nicht vollumfänglich in der Lage sein wird, bzw. gar nicht die Absicht verfolgt, originär jüdische Interessen innerhalb der AfD zu vertreten und entsprechend in den Programmen der Partei zu verankern, sondern nach typischer Manier die AfD in ihrer Politik der Ablehnung des Islam unterstützen und dabei helfen wird, antisemitische Umtriebe zu relativieren.

Nachbemerkung:
„Messianische Juden“ werden von jüdischen Gemeinden und Verbänden sehr kritisch gesehen. Übrigens auch vielfach von den christlichen Kirchen. Sie gehören dem evangelikalen Umfeld an und fühlen sich zur Missionierung insbesondere von Juden berufen, also zur Bekehrung zum christlichen (!) Glauben.

Hier einige Links zu diesem Thema, die auch erklären, warum Juden in Deutschland darauf zurecht ausgesprochen abweisend reagieren:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/messianische-juden-juden-die-an-jesus-glauben.1278.de.html?dram%3Aarticle_id=319929

https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/5168

 

 

 

 

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